Leichte Schwermut

2018 ist mein Jahr des Schreibens. Es begann Ende 2017 mit einem Artikel für ein Brigitte-Dossier und redaktionellen Texten für München.de. Letztes Wochenende war ich in Berlin bei einem intensiven Plot-Workshop, in dem ich ganz konkret den Bauplan für meinen achten Roman entwickeln konnte. Natürlich mache ich auch noch Fotos, ich liebe die Fotografie, aber ich werde weniger Hochzeiten begleiten.

Da liegt es auf der Hand, dass ich auch wieder blogge. Und zwar über ein Thema, über das mittlerweile viel geschrieben wird, zum Glück, was es mir jedoch nicht leichter macht, meine persönlichen Erfahrungen damit öffentlich zu machen. Groß ist meine Angst vor Stigmatisierung und davor, keine Aufträge mehr zu bekommen und alles noch viel schlimmer zu machen, weil auch noch das berufliche und finanzielle Desaster droht. Trotzdem werde ich es tun: Ich schreibe über meine dunkle Seite.

„Leichte Schwermut“, so heißt dieses Blog, und zwar schon seit vielen Jahren und nicht ohne Grund. Ein hübsches Oxymoron. Aber das ist nicht alles. Es stecken Mut drin, Schwere und Leichtigkeit. Denn die dunklen Tage und Wochen fordern viel Mut, um nicht aufzugeben, die Schwere drückt mich oft im wahrsten Sinne des Wortes zu Boden, aber es gibt auch Leichtigkeit. Für einen kurzen Moment, selbst während der schwärzesten Bleitage. Für ein paar Stunden. Und für länger, wenn eine Phase vorbei ist und das Leben, das ich so liebe, wieder mir gehört und ich ihm.

Es soll aber nicht nur um die dunklen Tage gehen. Auf Twitter gibt es den Hashtag #notjustsad, und der trifft es in zweifacher Weise. Man ist nicht nur traurig. Es ist leider viel schlimmer. Traurig sein ist normal, es gehört zum Leben, ohne Traurigkeit gibt es auch keine Fröhlichkeit. Traurig sein lässt einen das Glück mehr schätzen, es zeigt einem Mängel und wunde Stellen auf, manchmal auch einfach, was und wer einem wichtig ist. Tränen heilen und bauen Spannung ab. Man ist aber als Mensch, der weiß, was eine Depression ist, auch nicht zwangsläufig die ganze Zeit traurig, selbst während einer akuten Phase nicht. Zumindest bin ich das nicht. Ich kann sogar lachen und echtes Glück empfinden, auch wenn diese positiven Momente meistens schnell wieder von der Schwermut überrollt werden. Die guten Augenblicke während einer dunklen Phase sind wie Schlaglichter, die kurz Licht ins Dunkel bringen, Erinnerungen an bessere Tage und manchmal sogar von der Hoffnung begleitet, dass sie irgendwann wiederkommen.

Allerdings ist Hoffnung in einer akuten Phase leider Mangelware. Oder man traut ihr nicht. Ich fühle mich dabei wie unter Wasser. Dickflüssigem Wasser. Ich schnappe nach Luft, aber ich kann nicht richtig atmen. Jeder Atemzug stellt eine Anstrengung dar. Ganz zu schweigen von den ganzen normalen Tätigkeiten, die der Alltag mit sich bringt. Alles ist gedämpft, verlangsamt, aber nicht angenehm und beruhigend, sondern auf eine erschreckende Weise zäh und verzerrt. Das Licht dringt nur gefiltert durch die trübe Flüssigkeit. Ich bin abgeschlossen von der Außenwelt und den anderen Menschen. Ich sehe, dass über der Wasseroberfläche das Leben weitergeht. Das Leben, an dem ich gerade noch teilgenommen habe, ganz selbstverständlich, mit all seinen Höhen und Tiefen, Geraden und Kurven. Etwas zieht mich unter Wasser und hält mich dort fest. Ich versuche zu rufen, auf mich aufmerksam zu machen, aber es kommt kein Ton über meine Lippen. Das Atmen kostet so viel Kraft, simples Atmen, dass keine übrig bleibt, um mich freizustrampeln und nach oben zu schwimmen, aufzutauchen.

Ich bin ein reflektierter Mensch. Ich habe viel gelesen, ich weiß viel, ich verstehe auch einiges. Ich bin intelligent. Und gerade deswegen lässt es mich so verzweifeln, dass es meine Gedanken sind, mein Kopf, der die Macht über mein Fühlen und damit mein Ich hat. Meine Gedanken lügen mich an. Sie erzählen mir Bullshit. Sie sagen, dass ich nichts wert bin, nichts kann, nichts schaffe, nicht geliebt werden kann. Der Beweis dafür, dass sie recht haben – obwohl ich weiß, dass dem nicht so ist – ist deutlich: Ich bin unter Wasser, ich bin abgeschottet von den anderen, isoliert, ich schaffe nichts, weil mich das Atmen schon erschöpft, und ich spiele den Menschen, die mich lieben, etwas vor oder schicke sie weg. Als Folge davon lieben sie mich entweder nur so, wie ich (gerade) nicht bin oder sie sind weg, lieben mich also gar nicht. Der Beweis für die Richtigkeit der falschen Gedanken. So einfach ist das alles und so teuflisch. Und dabei so vertraut.

Wie komme ich da nun wieder raus? Die gute Nachricht: Bisher ist es mir immer irgendwie gelungen. Entweder durch die Zeit, die in diesem Fall für mich spielte: Irgendwann wurde es von selbst wieder besser. Oder mit der Hilfe von Sport, Gesprächen, Zeit im Wald und durch meine Kinder, die nichts von mir verlangen und mir zeigen, was Lebensfreude ist. Einmal bestand das Ende einer schlimmen Phase auch aus drei Bier in der Sonne eines Brooklyner BBQs, einem darauf folgenden langen Spaziergang mit einem alkoholbedingt endlich mal offenen Gespräch mit einer guten Freundin. Ab da ging es wieder bergauf. Bis zum nächsten Tief, nur vier Monate später.

Leider ist es nicht immer so einfach. Aufgeben ist keine Option, ich bin Mutter. Ich glaube, dass das Schreiben mir hilft, und wenn es vielleicht dabei nur einem anderen Menschen hilft, ist schon etwas gewonnen. Und schließlich: 2018 ist mein Jahr des Schreibens. 

 

 

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